Zeit des fließenden Kusses
(Hymne an Pathos und Eros)

Wenn alles untergeht, bleiben Gott und Wein. (Bela Hamvas)

Die erste Begegnung mit dem Schaffen von Axel Becker hat mich gleich an die Lehre von Bela Hamvas, einem der größten mitteleuropäischen Denker des 20. Jahrhunderts erinnert, der in seinem Hauptwerk „Philosophie des Weins“ in diesem göttlichen Nektar die Verkörperung Gottes selbst sieht. An Wein zu denken, über Wein nachzudenken, sich mit Wein zu befassen, bedeutet, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, bzw. introspektiv den Gott in sich zu suchen. Nicht den satanischen Tropfen der Verdammnis, sondern gerade das Gegenteil – den Funken Gottes. Vielmehr würde ich sagen, die Beschäftigung mit Wein ist ein Zeichen tiefer Religiosität, denn Wein ist, so lehrt uns Hamvas, das einzige Medikament  gegen Albernheit, die Erlösung aller Sünden, schlicht und einfach die Gabe Gottes. Wein ist das, was uns erlöst. Dionysos, Gott des Weines, ist de facto der einzige wahre Erlöser. Den Wein zu trinken bedeutet, sich vom Scheinleben, von der Scheinheiligkeit, Heuchelei, Scheinmoral sowie von der Unterdrückung der eigenen Natur zu befreien. Den Wein zu trinken bedeutet sich loszulassen, unbeschwert zu leben, sinnlich, seelisch und geistig. Die Hymne an den Wein ist die Hymne an die Freiheit, an die Seele, den Eros und Pathos. Malen, bemalen, illustrieren, inszenieren, den Wein fühlbar und sichtbar machen, das ist der erhabene Akt und der ungestillte Durst, dieses göttliche Produkt durch das künstlerische Schaffen noch mehr zu materialisieren und dem Auge zugänglicher zu machen. Etwa so wie der Bildhauer von der Frau und Inszenierung und Modellierung weiblicher Rundungen in einem seiner beliebten Materialien schwärmt. So ähnlich inszeniert Becker den Geschmack, der bei der Begegnung von Gaumen und Wein entsteht, durch assoziative Rolle der Farbe (die rote Farbe von Teran, Merlot, Cabernet Sauvignon, Borgona oder aber die goldgelbe von Malvasia, die weiße oder graue von Pinot, die weiße von Muscat etc..), durch die Symbolik und vor allem durch die Tendenzen zur äußersten Eliminierung malerischer Elemente. Genauso wie beim Weintrinken, wenn langsam das Schmerz verschwindet und wir uns der Eliminierung von allem Unnötigen überlassen, für diesen Augenblick leben, uns von Geschmäcken und Düften verwöhnen lassen und mit unseren Liebsten in dionysischer Vermischung von Leidenschaft, Liebe und Genuss für alle Sinne verschmelzen. Wein ist, so Hamvaš, „der fließende Kuss“ und das Weintrinken „der nächste Verwandte der Liebe“.

Wenn es um das Werk von Axel Becker geht, benutze ich absichtlich den Begriff Schaffen und nicht Malerei, trotz der Erkenntnis, dass die Malerei schon seit langem über den Begriff Malerei hinausgeht, und so betrachte ich das malerische Schaffen gleichzeitig als einen deplatzierten Termin, der seine Blütezeit gerade zur Zeit des Höhepunktes der technologischen Überlegenheit der abendländischen Zivilisation erlebt hat, und in der Zeit, als die moderne Kunst am meisten bestritten und als - hässlich bezeichnet wurde. Becker gehört eben zu den Nachfolgern der berühmten Generation der Maler, deren „tierisches“, ludisches malerisches Schaffen alle Fäden mit der Vergangenheit unterbrochen hat und alles, was in der Vergangenheit unter dem Begriff „schöne Künste“ verstanden wurde, wortwörtlich „ entwürdigt“ hat. Das war die endgültige Konfrontation der Anschauungen und gleichzeitig das verhängnisvolle Zeitalter der Befreiungstat im kunstgeschichtlichen Kontext, bekannt unter dem Namen Expressionismus. Gerade das war die Lehre, die später die Nachfolger und Zeitgenossen anderer Bewegungen beeinflusste, wie den Dadaismus, Futurismus, Surrealismus und am Ende auch Minimalismus. Ist übrigens nicht die Eliminierung alles Überflüssigen die äußerste Form der Expression und der klaren Haltung gegenüber einer bestimmten Situation? Der spielerische Umgang Beckers mit den psychischen malerischen Elementen und dem psychologischen Aspekt der Malerei ist letztendlich die Expressivität seines, auf den ersten Blick sehr rationalen Naturells, das in seinem räumlich-illusionistischen Spiel trotz Tendenzen zur Bereinigung des Bildfelds und zum klaren konzisen Komposition seine Befreiung und gleichzeitig Apotheose erleben wird. Die Entscheidung Beckers, sich mit Wein und der Liebe zum Wein zu beschäftigen, gibt deutlich zur Kenntnis, dass sich hinter dem scheinbar kanonisierten Stereotyp und dem eingefleischten Vorurteil von germanischer Kälte und Glorifizierung des Bieres eine warme, lebendige, profane Person verbirgt (denn profan zu sein ist eben die höchste Form der Religiosität und der Selbstverwehrung des Kampfes und des Ringens mit dem Teufel selbst), deren Interessenspektrum hin zum mediterranen, hellenischen Kulturkreis tendiert, wo die Kultur des Weintrinkens schon aus der Zeit der griechischen orgiastischen Gastmähler bekannt war, wo dionysische leidenschaftliche Genüsse ihren Epilog erreichen. Das ist ein Mensch, der mit germanischer Organisation und Sittlichkeit hinterfragt, ob und was für Reize der Weingenuss bietet, ob es etwas außerhalb des Rahmens der nördlichen Ordnung gibt, die in der Malerei des Autors Nota Bene vorherrscht und deren Suggestivität und vor allem die Ausrichtung zur Reinheit und zum Kolorismus eine  - therapeutische Note besitzt. Genauso wie der Wein, der, wenn man damit die Wunden benetzte, die Wunden schneller heilen ließ, sogar die der römischer Kaiser.

Die Mission von Axel Becker und seiner Lebensgefährtin Romana ist, die Qualität, Geschmäcke und Düfte istrischer Weine kennenzulernen und in ihrer ganzen Vielfalt zu spüren. Ihre Reisen und die Suche nach den „goldenen Runen“ auf der fruchtbaren Halbinsel namens Istrien sind jedenfalls etwas Hervorragendes. Vor allem ihre Analytizität und die Liebe zu diesen Gebieten resultierten in einer ausgezeichneten Publikation des Weinführers Istriens, in der alle bedeutenden istrischen Winzer systematisch aufgeführt sind. Das andere und Wichtigste ist jedoch die Tatsache, dass sich nach der Premierenausstellung in der Galerie Alvona in Labin, wo er sich dem kroatischen Publikum vorstellte, die Schaffens- und Ausstellungstätigkeit Beckers auf den Rest Europas ausweitet. Über seine Werke sprechend muss man sagen, dass es sich in erster Linie um Bild-Objekte handelt, deren Natur vom suprematistisch gerichteten Ausdruck bis hin zu Objekten variiert, deren funktionalistischer Ansatz ins Spektrum des Designs hineinreicht. Hätten nämlich die Objekte von Becker eine Art Maschinerie zum Antreiben des Korkenziehers, würden seine Installationen tatsächlich wie gewagte Designerlösungen und Uhren funktionieren, deren Natur über die malerische Schaffung hinausgeht. Das sind nämlich Fertigprodukte, die in ihrem Wesen die Erfahrung von Man Ray und Duchamp sublimieren, aus denen spielerischen Umgang mit Fertigprodukten manche der gewagtesten Werke der Malerei in der Geschichte der Menschheit entstanden sind. Auf die gleiche Weise benutzt Becker Korkenöffner, die er dann als ein ebenbürtiges Element in die Konstruktionen seiner Werke einfügt. So kommen wir an den Anfang der Geschichte, die beweist, dass Ready Made/recycliertes Produkt im Dienst der künstlerischen Handlung analog der Darstellung des Menschen als des Bildes Gottes, als des Spiegels seinesgleichen ist. Und gerade darüber spricht Hamvas, wenn er über das Gefühl der Religiosität schreibt, die nichts mit der Religiosität der größten Religionen der Welt wie dem Christentum oder dem Islam gemeinsam hat. Das Gefühl der Religiosität in ihrer Ursprünglichkeit, und das bedeutet in jener Form, in der es immer noch nicht angebracht ist, einen Namen zu erwähnen, geschweige denn einen Gott. Einzig und allein das Gefühl der göttlichen Natur, der göttlichen Wirklichkeit, der der Mensch gleich am Beginn seines Daseins begegnet ist. Deswegen ist ihm die Philosophie Nietzsches überhaupt nicht fremd, und sein Schreiben ist so, als folge es die Hinweise des deutschen Philosophen, den er zitiert und nach dem nur so zu reden ist: „zynisch und arglos, verstockt und raffiniert, fast verrucht gescheit; und gleichzeitig reinen Herzens, heiter und einfach wie der Vogelgesang!“ Sind die Titel der Axels Werke wie: „Die Zeit für den Wein“, „Anfang“, „Ende“, „Halb elf“, „Der König Vinko“ oder „Das schäumende Vergnügen“ nicht gerade Zitate, die auf  biblische Themen referieren, deren subversive Zynismus wiederum den Nietzsches, Cioranschen oder Schopenhauerschen weltlichen Sarkasmus heraufbeschwört? In diesem ein bisschen schlauen und schwärmerischen Ansatz zur Frage der Göttlichkeit steckt auch etwas von postmoderner Sinnlichkeit des heutigen Menschen. Die ursprüngliche Religiosität, so behauptete Nietzsche, können wir jederzeit erleben, aber nur in unserem Inneren, und genauso ist auch die Behauptung von Hamvas.

Gerade deswegen  ist die Malerei von Becker ein geschicktes Zusammenspiel des Modernismus, der post-avantgardistischen Malerei, der Malerei, die aus ihrer Zweidimensionalität herausgeht und ins Spektrum der Skulptur hineingeht. Es handelt sich um gewisse Assemblagen mit Erfahrung von Arman, Lucio Fontana und Yves Klein, die in absehbarer Zeit sicherlich mit noch gewagteren reduktionistischen Lösungen und noch mehr pointierten, aber nicht weniger minimalistisch gerichteten Akkorden innerhalb vorgegebener Partitur resultieren werden. Auf jeden Fall beschäftigt sich der Autor mit einer sehr intuitiven Schaffenstätigkeit und ist dabei, seine persönliche Handschrift und seinen eigenen Stil hervorzubringen. Wenn nach Croces Definition von Kunst die Kunst insoweit gut ist, als in ihr der ursprüngliche Ausdruck spürbar ist, dann bestehen vermutlich die glänzendsten Momente von Becker trotz Überwältigung von Ratio, der strengen Präzision und fast gottesehrfürchtiger Befolgung der Regeln der strengen kompositorischen Parameter gerade in jenen zerknitterten Folienresten der Weinverpackung, gestreckten Parabeln und betonten Diagonalen. Das Gesetz des Trinkens ist gleich wie das der Liebe: egal wann, egal wo und egal wie. Aber genauso wie in der Liebe sind auch beim Trinken alle Umstände wichtig, und so auch in den Werken von Axel Becker, dem Autor, dessen Malerei, da bin ich mir ganz sicher, wenn er sich ihr ebenso wie der Weinforschung analytisch widmen wird, das Schicksal eines „fließenden Kusses“ teilen wird, das man mit Sorgfalt behandelt.

 

Vedran Šilipetar, Professor of Art
Pula, Weihnachten, Anno Domini 2013